2017

Oktoberkolumne

Auch revolutionäre Megatrends wie die Digitalisierung oder die Krisenlastigkeit der Wirtschaft beeinflussen den zukünftigen Arbeitsmarkt. Machen da Prognosen überhaupt noch Sinn?

Die Studie des schweizerischen Forschungsinstituts Prognos von August 2017 fand in den deutschen Medien große Beachtung. Angeblich würden der deutschen Wirtschaft im Jahr 2030 drei Millionen Fachkräfte fehlen. Daraus resultiere ein Wohlstandsverlust von 3,8 Billionen Euro. Politik und Wirtschaft wurden, wie schon bei vorherigen Prognos-Studien zum Thema Arbeitsmarkt, aufgerufen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das war ganz im Sinne des Auftraggebers, dem Verband der Bayerischen Wirtschaft. Präsentiert wurden keine fundamental neuen Erkenntnisse, denn schon 2013 meldete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Defizit von 2,9 Millionen Arbeitskräften. Forschungsergebnisse aus den Jahren vor der Flüchtlingswelle mussten inzwischen leicht nach unten korrigiert werden. Die Bevölkerung war um 1,1 Millionen Menschen gewachsen und der Mindestlohn war eingeführt. Andere Arbeitsmarktforscher, wie etwa das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), sehen auf neueren Studien basierend ein Unterangebot von nur 2,7 Millionen Arbeitskräften bis 2030.

Auch Arbeitsmarktforscher kennen die Probleme von Arbeitsmarktprognosen.
Zukünfig werden mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als neu eintreten. Immer mehr erwerbsfähige Menschen drängen in den Arbeitsmarkt. Der demografische Faktor war lange eine berechenbare Größe. Dann aber brachten US-Militärs mit ihrem Einmarsch in den Irak das geopolitische und soziale Gefüge im Nahen Osten zum Einsturz. Die Rechnung zahlen wir und die Mittelmeerstaaten. Nicht allein die Bevölkerungsentwicklung entscheidet also darüber, wie viele Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Stellt sich die Frage nach der Verlässlichkeit von Arbeitsmarktprognosen. Das IAB betont die „vielen Unsicherheit und Unschärfen“ der Arbeitsmarktforschung und spricht von bedingten Wenn-Dann-Aussagen. Die Forscher denken die gegebene Situation mit einem Zeithorizont von 20 bis 25 Jahren weiter. Mögliche Einflusskräfte bleiben ausgeklammert, da man die Wirkungsverläufe vielfach noch nicht kennt oder die Analysen ins Unendliche führen würden. In Anbetracht der Schnelllebigkeit unserer Zeit, der globalen Vernetzung und der daraus resultierenden Wirkungsdynamik auf nationale Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte weisen selbst die Arbeitsmarktforscher auf ihre Prognoseprobleme hin. Darum erfolgen ihre Aussagen lediglich als Szenarien.

„Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“
Sollte die ohnehin schon schnelle Entwicklung in Richtung „Wirtschaft 4.0“ mit künstlicher Intelligenz oder Big Data weiterhin an Tempo gewinnen, würde die evolutionäre in eine revolutionäre Entwicklung umschlagen – und der Arbeitsmarkt 2030 müsste neu berechnet werden.

Wie problematisch Prognosen, wie etwa die der Prognos AG sind, zeigen Aussagen zum Akademikerbedarf. 2015 wurde ein Fehlbedarf von 500.000 bis 2020 festgestellt. Bis 2030 sieht Prognos einen Mangel an Ingenieuren, Forschern, Managern, Ärzten, Journalisten und Kreativberufen. Das IAB schreibt: Das Angebot an Akademikern reiche in Zukunft rechnerisch aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Noch weiter geht das Frauenhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), das bis 2020 ein Überangebot an Hochqualifizierten sieht. Die betroffenen Akademiker müssten sich auf Erwerbslosigkeit einstellen oder Tätigkeiten unterhalb ihrer Qualifikation nachgehen. Zum Trost von Akademikern sei mit einem Karl Valentin zugeschriebenen Zitat gesagt: „Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“

Letztendlich entscheidet die kapitalistische Ökonomie mit ihrer Krisenlastigkeit darüber, wie sich der Arbeitsmarkt gestaltet. Wirtschaftskrisen münden zumeist in Beschäftigungskrisen. Die bekannten amerikanischen Autoren Nouriel Roubini und Stephen Mihm schreiben in ihrem Bestseller „Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft“, dass das, was wir 2008 und 2009 erlebten, lediglich ein Vorgeschmack dessen sei, was uns noch bevorsteht.